Das virtuelle Restaurant. Leckeres aus Ghost Kitchen

Peter Brueghel d.J.
Peter Brueghel d.J. "Die Bauerhochzeit"

S2E41 Gehen Sie gerne auswärts essen? Bestellen Sie auch ab und an Essen im Internet? Wobei die letzte Frage nicht präzise ist, denn man kann einerseits Zutaten im Web bestellen – und kocht dann selbst.

Oder nutzt einen der Lieferdienste, die lokalen kleineren Restaurants bis auf die Kocharbeit alles abnehmen: Lieferdienste besitzen keine Restaurants, sondern werben für diese, machen Online Marketing, halten Bezahlfunktionen und immer aktuelle Speisekarten bereit. Holen das bestellte Essen frisch zubereitet an der Theke ab – wie die Servicekräfte im Gastraum. Und bringen es, wie diese, zu den Kunden. Nur der Weg ist etwas länger.

Auch auf Apple Podcast und überall, wo es Podcasts gibt.
Wir empfehlen:
https://wissenschaftspodcasts.de/podcasts/

Das hilft kleinen Unternehmen, den Kundenkreis zu vergrößern, ohne neue Gasträume anzumieten, und mehr Personal für den Service einzustellen. Führt aber auch zu Ungemach, wie wir im Podcast berichten.

Es gibt andere Geschäftsprozesse im Web, die ähnlich funktionieren und eine Plattform zur Abwicklung der Geschäfte zur Verfügung stellen: Flixbus zum Beispiel hat selbst keine Busse, sondern bewirbt, organisiert, vermittelt und rechnet Fahrten ab. In Bussen, die von unabhängigen Busunternehmen bereitgestellt werden, komplett, inklusive Fahrer:innen.

In der Corona Pandemie wurde eine weitere Idee verwirklicht: Virtuelle Restaurants, denen es gänzlich an Gasträumen und Servicekräften fehlt. Sie werden Ghost Kitchen oder Black Kitchen genannt. Es gibt nur eine vollständige Profiküche mit Profiköchen. Woran kann man diese erkennen: Eine Website mit klingendem Namen und einem Angebot, dass oft nach „Fine Dining“ aussieht: Wenige Menus, gehobene Küche, hochwertige Zutaten. Die Speisen separat verpackt, Soßen und Toppings getrennt geliefert, damit nichts „durchsuppt“. Und es gibt keine Restaurant Adresse. Das Vorbild waren Sternerestaurants, die in der Pandemie ihr Essen auslieferten – und die Profis wussten, wie man Gutes Essen lecker transportabel macht.

Die Quellen geben diesmal auch den ein oder anderen Hinweis auf „entdeckte“ Ghost Kitchen, die Hinweise werden wir wenn wir solche entdeckt haben erweitert.

Quellen

Disruptive Produkt- und Service Entwicklung:
Clayton M. Christensen:The Innovators Dilemma“ 1997

Californication / Solutionism
Mit diesem Thema hat sich Philipp Staab in seinem Buch „Falsche Versprechen. Wachstum im digitalen Kapitalismus“ auseinandergesetzt (Hamburger Institute f. Sozialforschung, Hamburg 2016).
Das „Glaubensbekenntnis“ der Californication / des Californian Solutionism lautet in zwei Sätzen zusammengefasst:
– Es gibt für alle Probleme der Menschheit eine technische Lösung zum Wohle der Menschen
– Digitale Geschäftsmodelle können durch die globale Vernetzung fast beliebig skaliert werden, Menschen und Produktionsmittel können unabhängig von Raum und Zeit eingesetzt werden.

Die Plattformökonomie als eine Idee des „Solutionismus“ ermöglicht durch Disruption neue Modelle von Entwicklung, Produktion, Marketing, Vertrieb und Service.
Plattformökonomie bedeutet die Vernetzung von Nachfrage (Kunden) und Lieferanten über eine Lösung im Web. Beispiele:
– Flixbus besitzt keinen einzigen Busm, aber verknüpft prozessual Transportunternehmen mit Reisewilligen inkl. Bezahlung.
AirBNB betreibt weder Hotels noch Pensionen, aber verknüpft Nachfrage (Gäste) mit den Anbietern von Unterkünften inkl. Bezahlung.
Uber hat weder Fahrzeuge noch angestellte Fahrer:innen, aber betreibt eine Plattform auf der Transportwünsche Einzelner mit Transportmitteln (FAhrzeigen inkl. Fahrer:innen) verknüpft werden inkl. Bezahlung.
Lieferando besitzt keine Restaurants, aber betreibt über seine Plattform die Verknüpfung von Wunsch nach Essen mit den entsprechenden Restaurants und liefert das Essen aus – und kann auch die Bezahlung abwickeln.
– Eine Sonderformen von Plattformen ist DoctoLib: DoctoLib bietet im Auftrag von Ärzten die Verwaltung von Terminen an. In Deutschland liegt der Marktanteil bei etwa 60% (Ende 2023) – es nutzen 70.000 niedergelassene Ärzte und 400 Kliniken die Dienste.
Mit den Buchungen sind oftmals auch Erhebung von persönlichen medizinischen Informationen verbunden. Zahlreiche Beschwerden bei Datenschutzbehörden führten zu Untersuchungen des Anbieters.
In einem aktuellen Artikel von Netzpolitik.org werden Informationen dazu analysiert und bewertet:
https://netzpolitik.org/2024/doctolib-wachsender-riese-im-gesundheitsdatenmarkt/

Essen & Trinken neu organisiert

Situatives Wachstum: Der Umsatz der Lieferdienste in Deutschland stieg zwischen 2020 und 2024 von 2,0 auf 3,2 Mrd. Euro.
Quelle: https://www.statista.com/topics/9212/online-food-delivery/
Der Markt – die Margen
„Im Durchschnitt liegt die Gewinnspanne bei diesen Gastrobetrieben zwischen 3 % und 5 %. Der Grund für die niedrige Marge sind die hohen Gemein- und Arbeitskosten.“
https://www.foodnotify.com/de/blog/gewinnmarge-gastronomie

Die Übersicht: Online Food Delivery – Weltweit (statista 2023, inkl. Prognosen)
„Seit der ersten Online-Pizza-Bestellung bei Pizza Hut im Jahr 1994 ist das Geschäft der Essenslieferdienste mittlerweile zu einem milliardenschweren Unterfangen geworden. Aggregator-Plattformen wie Takeaway.com oder Delivery Hero sind mittlerweile auf der ganzen Welt vertreten. Dies lässt sich auf den Verkauf von verlässlichen Infrastrukturlösungen und auf für Restaurants noch akzeptable Provisionsgebühren zurückführen. Unternehmen wie Deliveroo oder UberEats, die Platform-to-Consumer Delivery anbieten, haben zwar ein kostenintensiveres Geschäftsmodell, beliefern dafür aber selbst die Kunden mit Essen. Diese Unternehmen haben in den letzten Jahren, gerade in dicht bevölkerten Regionen, Fahrt aufgenommen. Beide Modelle werden sich wahrscheinlich immer mehr annähern; die Konkurrenz zwischen firmeneigenem Lieferservice und solchem über Drittparteien wird daher zunehmen.“
https://de.statista.com/outlook/dmo/online-food-delivery/weltweit

Lieferando & Co.: Wir nennen im Podcast des öfteren Lieferando, natürlich gibt es weitere Lieferdienste. Eine aktuelle Befragung im Auftrag von statista zeigt die Verteilung auf die Anbieter
Die Frage lautete: „Welchen dieser Online-Anbieter für Restaurantlieferungen haben Sie in den letzten 12 Monaten genutzt?“ (mehr als eine Nennung möglich; Deutscher Markt, Befragung Juni 24, 2.113 Befragte, Alter 18-64 Jahre).

LieferdienstAnteil der Befragten, die diesen Lieferdienst in den letzten 12 Monaten genutzt haben
Lieferando76%
Domino’s28%
Call a Pizza13%
Pizza Hut
(Pizza Hut lieferte nach eigenen Angaben 1994 die erste Online Pizza Bestellung aus)
13%
Uber Eates11%
Burgeme9%
L’Osteria7%
Wolt7%
Smiley’s5%
Vapiano5%
Liste der 10 am häufigsten genutzten Lieferdienste in Deutschland Juni 23 – 24. Quelle statista (https://www.statista.com/forecasts/998845/online-food-delivery-bookings-by-brand-in-germany), eigene Darstellung

Schattenwebsites – der Lieferando Skandal Februar 2021
Meldungen vom 26.2.2021 und 23.4.2021

Wie Lieferando Kunden von den Restaurantwebseiten fernhält: https://www.deutschlandfunknova.de/beitrag/schattenwebseiten-lieferando-erstellt-tausende-website-fuer-restaurants

Wenn Dein Restaurant bei Lieferando von der Liste fliegt:
https://www.deutschlandfunknova.de/beitrag/lieferando-wenn-dein-restaurant-bei-lieferando-plötzlich-von-der-liste-fliegt

Disclaimer: Natürlich haben noch mehr Medien von dieser Situation berichtet, Interessierte können Deutschlandfunk NOVA als guten Ausgangspunkt für eigene Recherchen nutzen.

Kochboxen
Aufgezählt haben wir:
Hello Fresh (Kochboxen): https://www.hellofresh.de/essensbox/kochbox-bestellen
Marley Spoon (Die Kochbox, die besser schmeckt) https://marleyspoon.de
Dinnerly (Die Kochbox zum Sparpreis): https://dinnerly.de
JU IT Now , ist eine Marke von Dr. Oetker Digital (Bio Fertiggerichte im Glas, jetzt, siehe auch https://www.businessinsider.de/gruenderszene/food/dr-oetker-startet-juit/)
https://www.lunchglaz.de/?ref=128

Ghost oder Dark Kitchen

Dieser BBC Artikel und Beitrag war unser „Stein des Anstoßes“, diese Podcast Folge zu machen:
Your next meal might come from this windswept industrial estate on the banks of the River Irwell.“
https://www.bbc.com/news/business-47978759

Was steckt hinter einer Ghost Kitchen?
„Als Ghost Kitchen, auch bekannt als Dark Kitchen oder Virtual Kitchen, werden Restaurants bezeichnet, die keinen regulären Service im Restaurant anbieten, sondern sich auf Online-Bestellungen und Lieferungen spezialisieren. Im Restaurant selbst befindet sich nur die Küche, weder Servicekräfte noch Gasträume werden benötigt“.
 Übersicht aus der Perspektive des „Providers“ METRO:
https://www.dish.co/DE/de/blog/was-ist-eine-ghost-kitchen/

Welche Vorteile bietet eine Dark Kitchen?
„Dark Kitchens verfügen über jegliche moderne Ausstattung einer professionellen Restaurantküche, allerdings fehlt der Gästebereich zum Sitzen und Essen komplett. Die größten Vorteile sind die hohe Flexibilität beim Speisenangebot, schnellere Produktions- und Auslieferungszeiten, die einfache Bestellabwicklung über Apps und die geringeren Betriebs- und Mietkosten“
https://www.bhs-tabletop.com/de-de/blog/artikel/restaurantkonzept-dark-kitchen/#

GHOST KITCHENS DEUTSCHLAND: EIN ÜBERBLICK ÜBER DAS DISRUPTIVE GESCHÄFTSMODELL
https://www.zukunftsernaehrung.de/ernaehrung/ghost-kitchens-deutschland-ein-ueberblick-ueber-das-disruptive-geschaeftsmodell

Einige Tipps zu Ghost Kitchen in Aktion für Berlin gibt AMEX:
„Das Berliner Start-up Vertical Food beispielsweise betreibt Stand April 2021 zehn verschiedene Restaurants, darunter Vadolì (Pizza), Fresh’s (Bowls, Wraps, Salate), Spagettini (Pastagerichte) oder auch Spyces (orientalisch angehauchte Speisen). Das Unternehmen setzt dabei voll auf Digitalisierung: Die Bestellung ist ausschließlich über das Internet möglich, und Vertical Food nutzt die so gewonnenen Daten zur Perfektionierung des Angebots. Welche Gerichte aus welchem Restaurant werden zu welcher Tageszeit in welchem Stadtviertel besonders nachgefragt?

Das Speisenangebot wird entsprechend angepasst und die Fahrtrouten der Auslieferer und Auslieferinnen über einen selbst entwickelten Algorithmus optimiert. Besonders clever: Während die Lieferautos unterwegs sind, gart beispielsweise die Pasta im Kofferraum auf eigens entwickelten heißen Platten weiter, damit sie auf den Punkt bissfest auf den Esstisch kommt. Lauwarme, pampige Gerichte aus der Styroporverpackung? Nicht bei einer guten Geisterküche.“
„Dieses Konzept geht so gut auf, dass Unilever Food Solutions & Langnese Deutschland im März 2021 als Kooperationspartner bei Vertical Food eingestiegen ist. Ambitioniertes Ziel: Deutschlandweit sollen bis zu 50 weitere Ghost Kitchens aufgebaut werden, zunächst in Großstädten wie Hamburg, Köln, Frankfurt oder München.“

https://www.americanexpress.com/de-de/amexcited/explore-all/food/food-delivery-3-0-ghost-kitchens-in-deutschland-735

Noch recht dünn sind weiterhin die eigenen Erfahrungen (22.09.2024).
Immerhin ist es mir gelungen, eine Ghost Kitchen in Bonn auszumachen, keine Werbung:
„finefine – healthy food for every day“ bietet moderne gehobenes SlowFood an (Lachs, Kichererbsen, Süßkartoffeln, Babyspinat, …).
Da sie auch ein „Take Away“ Angebot haben, konnte ich in die „Küche“ blicken: Perfekt organisiert, die Zutaten sind „mis en place“, also genau passend griffbereit für die Gerichte sortiert, die Bowls werden auf einer Waage gefüllt (das erklärt die Angaben von Kcal und den Anteil Fett, Kohlehydrate und Eiweiss auf das zehntel Gramm genau). Saußen und Zutaten, die sichnicht vermischen sollen, werden separat verpackt. Der Lieferdienst ist in Eigenregie organisiert.
Idee: Vielleicht auch keine „Ghost Kitchen“, sondern ein neues Franchise in der Systemgastronomy mit keinem Gastraum?
www.finefinehealthyfood.de

TO BE CONTINUED

Das Folgenbild

Pieter Brueghel der Jüngere (1564 – 1638 in Antwerpen), war ein Maler aus Brabant. Er wurde als „guter Kopist“ seines Vaters Pieter Brueghel des Älteren bezeichnet, weil er „vorhandene oder bekannte, aber verschollenen Originale“ verändernd erneut malte.
Unser Bild zeigt den Lieferdienst bei dieser Hochzeit, der Schüssel mit verschiedenen Speisen herbei holt, entweder aus einer Küche neben der Scheune, oder auch von weiter her. Eine weitere Interpretation des Bildes zeigt die Szene „im Freien“. Auch dort funden sich die Speisen wieder, auch dort muss ein Lieferdienst aktiv gewesen sein.

„Die Bauernhochzeit“ von 1620 – unser Folgenbild – ist ein Beispiel für die Arbeit des Kopisten. Allerdings: Das Bild entstand nicht aus der Dekomposition seines Vaters Bild, er nutzte die Kopie, um Teile des Bildes neu aufzusetzen, gefälliger und auch exakter zu machen. Also: Keine Disruption in der Malerei, eine Interpretation vielleicht.

https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Pieter_Bruegel_d._J._-_Bauernhochzeit.jpg