Süchtig nach Sozialen Medien: Teil 1

Eine junge Frau in der Kleidung des ausgehenden 19. Jahrhunderts sitzt an einem Cafétisch, vor ihr ein Glas Absinth
L'Absinthe - Gemälde von Edgar Degar (1876)

(S1/E25) Im Jahr 1993 schaltete das Europäische Kernforschungszentrum CERN das World-Wide-Web für die Weltöffentlichkeit frei. Schon drei Jahre später gab es die ersten wissenschaftlichen Veröffentlichungen zum Thema „Internet-Addiction“. Und tatsächlich: mittlerweile gehört diese Sucht – einschließlich Toleranz, Entzugserscheinungen und Kolatteralschäden in Berufs- und Privatlebenzum Alltag für viele Menschen, die soziale Medien nutzen. Und wie bei jeder Sucht sind nicht nur die Betroffenen betroffen, sondern auch ihre Angehörigen, Eltern und Freunde.

Weil wir diesem „Mega-Thema“ einigermaßen gerecht werden wollen, haben wir vorsichtshalber mehr als eine Podcast-Folge dafür reserviert. Es wird also nicht nur quer durch die Disziplinen gehen (Medizin, Verhaltensforschung, Lernpsychologie, Neurobiologie) sondern auch tief hinein in Zahlen, Fakten und anekdotische Evidenz.

In der ersten Folge…

  • …berichten wir von den Ergebnissen einer der ersten kontrollierten Studien zum Thema;
  • …stellen wir fest, dass es eigentlich nicht eine einzelne Sucht geben kann und denken über Varianten nach;
  • …erkundigen wir uns nach den derzeit üblichen Diagnoseschlüsseln und Kriterien und wundern uns dabei ein wenig;
  • …versuchen wir die Frage zu klären, wie hoch der Anteil der Internet- oder Social-Media-Süchtigen in der Bevölkerung sein mag und entdecken dabei aufschlussreiche Unterschiede zwischen verschiedenen Ländern.

Quellen zur Folge:

  • Die klinische Psychologin Kimberly Young hat sich als eine/r der ersten Wissenschaftler/innen mit Internet-Sucht beschäftigt. Hier ist der TED-Talk eingebettet, den wir im Podcast erwähnen:
Der TED-Vortrag über Internet-Sucht von Kimberly Young
  • Das „Center for Internet Addiction“, das Kimberly Young 1995 geründet hat, ist mit einem eigenen Informationsangebot im Netz:
    http://netaddiction.com/
  • Die Studie von Kimberly Young, die wir im Podcast zusammenfassen (Young, K. S. (1998). Internet addiction: The emergence of a new clinical disorder. Cyberpsycholoy & Behavior, 1, 237-244.), wurde schon 1996 auf dem 104th annual meeting of the American Psychological Association in Toronto präsentiert.
  • Die Meta-Analyse von Studien zur Prävalenz von Internet-Sucht ist in der Zeitschrift „Addictive Behaviors“ erschienen:
    Cheng, C., Lau, Y. C., Chan, L., & Luk, J. W. (2021). Prevalence of social media addiction across 32 nations: Meta-analysis with subgroup analysis of classification schemes and cultural values. Addictive Behaviors117, 106845.
    https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0306460321000307
  • Dies ist die Quellenangabe zur norwegische Studie zur Entwicklung der „Bergen Facebook Addiction Scale“:
    Andreassen, C. S., Torsheim, T., Brunborg, G. S., & Pallesen, S. (2012). Development of a Facebook addiction scale. Psychological reports110(2), 501-517.
    https://psycoperu.org/wp-content/uploads/2021/03/andreassen2012.pdf
  • Über die – übrigens sehr prominenten – Dimensionen des Kulturvergleichs von Geert Hofstede, die wir am Ende des Podcast-Folge heranziehen, um uns über Kollektivismus vs. Individualismus zu unterhalten, kann man sich hier informieren:
    https://www.hofstede-insights.com/product/compare-countries/

Zum Beitragsbild:

Es gibt natürlich jede Menge fröhliche Besäufnisse aus allen Stilepochen und Jahrhunderten, aber die schienen uns als Episodenbild für Social Media Sucht nicht wirklich geeignet. Mit viel Fleiß und Mühe haben wir aber ein Bild von Edgar Degas (1834-1917) gefunden, das uns spontan überzeugt hat. Degas war ein Maler im Umfeld des französischen Impressionismus in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Obwohl er wohl nicht zu den „echten“ Impressionisten gezählt wird, war er mit Malern wie Renoir, van Gogh, Gaugin, Monet oder Toulouse-Lautrec bestens bekannt.

Die beiden Figuren auf dem Bild sind übrigens keine anonymen Alkoholiker, sondern Freunde von Degas, die bereit gewesen waren, für das Bild zu posieren: rechts Marcellin Desboutin, selbst ein Maler, und links bzw. in der Mitte des Bildes Ellen Andreé, eine Schauspielerin, die für damals für mehrere Maler des Impressionismus – u.a. auch Renoir – Modell gestanden, gesessen und gelegen hat. Auch der Ort, an dem Pärchen sitzt, ist überliefert: das Café de la Nouvelle Athènes an der Place Pigalle in Paris.

Was ist das Besondere? Uns hat an dem Bild vor allem die Stimmung und der wirklich unglaublich triste Gesichtsausdruck von Ellen Andreé beeindruckt, der uns für Personen, die sich lange Zeit mit einer Suchterkrankung auseinandersetzen, irgendwie typisch erscheint. Sie blickt ins Leere und man sieht ihr das Unglück und die Entfremdung von der Welt und ihrem ebenfalls ziemlich abwesend und teilnahmslos vor sich hin brütenden Partner zur Rechten an.

Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Absinth-drinkers_-_Edgar_Degas.png