Aufmerksamkeit , das ergibt natürlich genug Stoff für mindestens einen Zweiteiler oder gar eine Miniserie. Wir lassen uns überraschen, was daraus wird. Hier und jetzt geht es um unsere Eröffnungs-Episode zum Thema.
…und was meinen wir mit „Festhalten und Loslassen? Nun, jeder lebende Organismus vom Bakterium bis zum Rhinozeros hat zwei widersprüchliche Aufgaben, die er lösen muss.
(a) Er muss ein Mindestmaß an Stabilität aufrechterhalten, sowohl in seinen inneren Strukturen als auch in der Auseinandersetzung mit der Umwelt. Fehlt diese Stabilität, kommt es in weitestem Sinn zu „Wucherungen“. Dinge geraten aus den Fugen und verändern sich zu schnell. Auch um sich geordnet verhalten zu können, brauchen wir Stabilität – im Erinnern einer aktuellen Absicht genauso wie im Ablauf einer Handlung.
(b) Das Gegenteil ist merkwürdigerweise genauso richtig. Ohne Flexibilität geht es nämlich auch nicht. Situationen weichen voneinander ab, die Erfordernisse der Umwelt ändern sich permanent, also? Wir müssen reagieren und unsere Gedanken und Pläne und Handlungen jederzeit an die veränderten Bedingungen anpassen. Das bedeutet zugleich: Wir müssen jederzeit loslassen können.
Reichlich abstrakte Gedanken für einen harmlosen Podcast zur Digitalen Transformation, oder? Aber es scheint abstrakter als es ist. Die Dualität von Stabilität und Flexibilität, Festhalten und Loslassen gilt genauso für Gesellschaften und Kulturen. Wenn sich Werte und Regeln zu schnell ändern, läuft eine Gesellschaft in die Instabilität, geht es zu langsam, wird sie erstarren – auch eine prima Strategie, zugrunde zu gehen.
Hat man einmal damit angefangen hat, kann man kaum damit aufhören: Stöbern in einem Shop, die Netflix-Startseite, Bezahlen bei Amazon, Usability-Testings, Suchen und Lesen, Notifications… Man kann gerade die Vorgänge in der Welt der Digitalen Transformation so betrachten, dass sie durch Stabilität und Flexibilität bestimmt werden.
Quellen zum Thema
- Der Beitrag aus dem Time Magazine, in dem wir zu unserer Verblüffung erfahren, dass wir in Sachen Aufmerksamkeit von Goldfischen geschlagen werden.
https://time.com/3858309/attention-spans-goldfish/ - Und der dazu gehörende Faktencheck der BBC mit dem vielsagenden Titel „Busting the Attention Span Myth“:
https://www.bbc.com/news/health-38896790 - Neil Bradbury hat einen knappen und sehr überzeugenden Beitrag über die immerhin auf 10-15 Minuten geschätzte Aufmerksamkeitsspanne von Studierenden verfaßt: https://journals.physiology.org/doi/pdf/10.1152/advan.00109.2016?
- Das Online-Lexikon für Psychologie und Pädagogik von Hubert Stangl ist eine gute Referenz, um besser zu verstehen, was es mit der Aufmerksamkeitsspanne eigentlich auf sich hat. Und der/die geneigter Leser/in kann dem Artikel entnehmen, dass die im Blog erwähte Goldfisch-Performance von 9 Sekunden dann doch ziemlich zuverlässig überboten wird – schon von 5-7jährigen Kindern:
https://lexikon.stangl.eu/6553/konzentrationsspanne - Das YouTube-Video mit dem Gorilla-Test zur fokussierten Aufmerksamkeit ist hier zu finden:
https://www.youtube.com/watch?v=vJG698U2Mvo - Wie erforschte man in den Neurowissenschaften so etwa wie Ganglienzellen auf der Retina? Hier ein Vorschlag für einen klassischen Artikel: Barlow, H., Hill, R. M., & Levick, W. R. (1964). Retinal ganglion cells responding selectively to direction and speed of image motion in the rabbit. The Journal of physiology, 173(3), 377.
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC1368915/pdf/jphysiol01195-0058.pdf - Die wahrscheinlich umfassendste und recht früh publizierte Grundlage für die im Podcast dargelegte Unterscheidung von stabiler und flexibler Aufmerksamkeit findet man in diesem – leider online nicht verfügbaren Artikel:
Tucker, D. M., & Williamson, P. A. (1984). Asymmetric neural control systems in human self-regulation. Psychological review, 91(2), 185.
Episodenbild
Nein, wir haben keine Anleihe in der Kunstgeschichte gemacht. Der Grund: Wir konnten der Versuchung nicht widerstehen das Bild zu zeigen, das DALL-E auf den Prompt „zeichne und beschreibe die sehbahn beginnend mit x und y zellen bis zum hippocampus“ ausgegeben hat. Es ist eine anatomische Darstellung, die im Prinzip richtig aussieht, sich bei genauerer Kenntnis der Materie aber eine Art Anatomy From Hell entpuppt. Wir meinen: Sehenswert!