Mitunter gibt es auch in der Wissenschaft so ganz spezielle ikonische Sätze. „Wo endet unser Verstand und wo beginnt die Außenwelt…?“ Mit dieser vielzitierten und eigentlich ganz harmlos klingenden Frage beginnen die Autoren Andy Clark und David Charms einen Aufsatz, in dem sie interessante Ideen vorstellen. Was wäre, wenn unsere intuitiven Antworten auf diese Frage – die natürlich etwas damit zu tun haben, dass unser Verstand gefälligst in unserem Gehirn, mindestens aber in unserem Körper ist und nirgendwo sonst – nicht stimmt?
Damit stellen sich grundsätzliche Fragen: Sollen wir die Zeit zurückdrehen und wieder zu Fuß navigieren? Was wird denn am Ende aus dem Gehirn, wenn immer mehr Gedächtnis und Informationsverarbeitung an digitale Werkzeuge delegiert wird? Ist das nicht …gefährlich? Man kann es so sehen und deshalb wird auch gerne mit viel öffentlicher Anteilnahme die Idee vorgetragen, dass wir im Begriff seien, uns und unsere Kinder zu verblöden, weil es da allenthalben jene teuflischen digitalen Werkzeuge gebe. Und alles dies sei von Übel und führe früher oder später zu einer allgemeinen „Digitalen Demenz“ (!). Prominentester Vertreter dieser Theorie ist Prof. Dr. Dr. Manfred Spitzer, seines Zeichens Neuro-Wissenschaftler und Bestsellerautor – und als solcher alles andere als ungeübt im Spielen auf der Tastatur der medialen Aufmerksamkeit.
Was stimmt denn nun: Digitale Demenz (wir verblöden) oder Extended Mind (wir verwenden immer intelligentere Werkzeuge)…? Wir finden, die Frage ist zu einfach gestellt. Was machen wir mit den durch die Digitalisierung frei werdenden Kräften? Wie bereiten wir die nachwachsende Generation, die ihrem natürlichen Drang zur Verwendung digitaler Medien und Werkzeuge hemmungslos nachzugeben scheint, auf die Herausforderungen dieser Situation vor? Was müssen wir an unserem Framing der Situation ändern?
Quellen zur Episode
Aus der Intro:
- Eine kritische und leicht nachvollziehbare Analyse einiger Probleme und Fehler, die bei der PISA-Studie auftreten, findet man beim Südwestrundfunk: https://www.swr3.de/aktuell/nachrichten/pisa-studie-glaubweuerdigkeit-100.html
- In diesem Zusammenhang von Interesse: Die Intention-to-treat-Analyse, die man in der Wikipedia einigermaßen knapp und verständlich erklärt bekommt:
https://de.wikipedia.org/wiki/Intention-to-treat-Analyse
Quellen zur Digitalen Demenz
- „Der“ Bestseller zum Thema digitale Demenz: Manfred Spitzer (2012) Digitale Demenz. Wie wir uns und unsere Kinder um den Verstand bringen. DROEMER Verlag. Hier der Link zum Buch auf bücher.de:https://www.buecher.de/shop/erziehung/digitale-demenz/spitzer-manfred/products_products/detail/prod_id/40812588/
- Hier der Link zu einer Leseprobe der Ausgabe von 2014: https://medien.ubitweb.de/pdfzentrale/978/342/630/Leseprobe_l_9783426300565.pdf
- Eine Kritik von Spitzer findet sich u.a. hier: Appel, M., & Schreiner, C. (2014). Digitale Demenz? Mythen und wissenschaftliche Befundlage zur Auswirkung von Internetnutzung. Psychologische Rundschau. https://digi4all.de/wp-content/uploads/sites/15/2021/11/Appel_Schreiner_2014_-Digitale_Demenz_Mythen_und_wissenschaftliche_Befundlage_zur_Auswirkung_von_Internetnutzung.pdf
- Die Replik von Spitzer auf die Kritik: M. (2015). Über vermeintliche neue Erkenntnisse zu den Risiken und Nebenwirkungen digitaler Informationstechnik. Psychologische Rundschau, 66 (2), 114 – 123 https://www.nachdenkseiten.de/upload/pdf/181030-Spitzer_2015_Psch_RU.pdfSpitzer, M. (2022). Zehn Jahre Digitale Demenz. Nervenheilkunde, 41(11), 733-743. https://www.thieme-connect.com/products/ejournals/html/10.1055/a-1826-8006
Quellen zum Thema Extended Mind
- Den Artikel über die Extended Mind Theorie, den wir diesmal in unserem Podcast ins Zentrum stellen, kann man dankenswerterweise im Original lesen. Clark, A., & Chalmers, D. (1998). The extended mind. analysis, 58(1), 7-19. https://era.ed.ac.uk/bitstream/handle/1842/1312/TheExtendedMind.pdf?
- Die in Zusammenhang mit dem Tetris-Beispiel erwähnte Folge aus dem Podcast Geschichten aus der Geschichte mit dem Titel „Wie Tetris die Welt eroberte“ ist hier zu finden:
https://www.geschichte.fm/archiv/gag331/ - Das Experiment zum Brain Drain durch die bloße Anwesenheit von Smartphones. das in der Folge ausführlich dargestellt wird: Ward, A. F., Duke, K., Gneezy, A., & Bos, M. W. (2017). Brain drain: The mere presence of one’s own smartphone reduces available cognitive capacity. Journal of the Association for Consumer Research, 2(2), 140-154. https://www.journals.uchicago.edu/doi/pdf/10.1086/691462?onwardjourney=584162_v3
Das Bild zur Episode
Wie immer können wir feststellen: irgendwie ist alles schon einmal da gewesen. Hilfsmittel zum Ausführen komplexer Denk-Operationen gab es schon bei den Inkas, den alten Römern und im antiken China. Ein nahe liegendes Beispiel ist der Abakus, der sowohl beim Rechnen als auch beim Merken von Zahlen hilft. Allerdings gab es in der Geschichte auch sehr viel raffiniertere Rechenhilfen. Niemand geringeres als der berühmte Adam Riese (eigentlich Adam Ries), ein im 16. Jahrhundert lebender Mathematiker, Autor und Lehrer, arbeitete mit einer durchaus raffinierten Version eines „Extended Mind“, einem Rechentisch. Damit konnte man nicht nur Addieren und Subtrahieren, sondern auch komplexere Operationen ausführen. Unser Episodenbild zeigt einen Ausschnitt des Titels seines Bestsellers „Rechnung auf der Linien und Federn – auff allerley Hantierung / gemacht durch Adam Risen“ aus dem Jahr 1547.
Bildquelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Theo_Zasche_Schweinchen_in_der_Schule.jpg