Ob wir es wollen oder nicht: Der Macht der Kund/innenstimmen in Online-Rezensionen können wir uns kaum entziehen. Dabei zählen nicht nur die vergebenen Sterne, sondern – natürlich – auch die Inhalte. Und sobald auch nur eine einzelne Person, eine von Dutzenden schlechte Erfahrungen mit einem Hotel, einem Bettvorleger, einem Sofa, einem Fernseher, einer Handy-Hülle, einem Auto, einer Wanderreise, einem Zahnarzt gemacht hat, werden wir unwillkürlich irgendwie misstrauisch. Unser alter Bekannter, der Negativity Bias (vgl. achwas.fm, Folge S1/E30) sorgt dafür...
Dabei sind wir während der Recherchen zu dieser Podcast-Folge auf eine Art Fälschungsindustrie gestoßen. Ein Ökosystem von Dienstleistern, die nichts besseres zu tun haben, als gleich im Dutzend erlogene Rezensionen schreiben zu lassen, um diese dann an ihre Kunden zu liefern. Zielgruppe sind alle, die sich im Netz darstellen oder dort Geschäfte machen wollen (also eigentlich jeder, irgendwie geschäftlich tätig ist. Wir wussten das „im Prinzip“ schon, aber es ist doch ein Unterschied, ob man über theoretische Fälschungen spricht – oder direkt aufgefordert wird, für rund 10 Euro das Stück welche zu bestellen.
Die Folge liegt auf der Hand: Gute Produkte erscheinen also mitunter schlecht, schlechte erscheinen gut, rasch haben wir das Falsche gekauft und das Richtige übersehen – Ätsch, reingefallen! ist man versucht hinzuzufügen. Irgendwie tragisch, wo doch alles so einfach sein könnte, wenn die Welt frei von „Opinion Spam“ wäre (dies ist der Fachausdruck für Lügenrezensionen, auch wenn sie nicht gekauft sind). Nehmen wir ein Beispiel: „Produkt genau wie beschrieben. alles in Ordnung, gerne jederzeit wieder Produkt genau wie beschrieben. alles in Ordnung, gerne jederzeit wieder.“ Was stimmt hier nicht? Nun: Diese Rezension…
- … ist unspezifisch und könnte auf jedes Produkt passen
- … enthält Wiederholungen („gerne jederzeit wieder“ / alles in Ordnung)
- … wurde – etwas, das wir hier nicht sichtbar machen können – mehrfach im gleichen Wortlaut und rasch hintereinander von ein und derselben Person geschrieben
Negative Rezensionen sind noch einmal ein anderes Thema. Aufgrund des menschlichen Wir haben dieser besonderen menschlichen Aufmerksamkeit für negative Informationen schon einem Folge gewidment .
In unserer Podcastfolge kümmern wir uns um verschiedene Facetten dieses Themas:
- Was sagt eigentlich das Gesetz gegen den Unlauteren Wettbewerb? Ist das Lügen in dieser Form überhaupt erlaubt? (Erster Spoiler: Nein, ist es nicht. Zweiter Spoiler: Es wird trotzdem gemacht).
- Wo und wie findet man welche Firmen, die Fälschungen anbieten und was kostet das?
- Wie unterscheiden Wissenschaftler/innen wahre von gelogenen Rezensionen?
- Was unterscheidet echte von Fake-Rezensent/innen und Rezensionen?
- Gibt es vielleicht ein Gegengift?
Quellen:
- Die Veröffentlichungen der Stiftung Warentest zum Thema Fake Rezensionen (es gibt mehrere): https://www.test.de/Fake-Bewertungen-Wie-Verkaeufer-mit-gekauftem-Lob-Kunden-manipulieren-5401497-5624942/
- Der Artikel, in dem beschrieben wird, wie Vergleichsmengen von echten und gefälschten Rezensionen für die wissenschaftliche Arbeit entstehen: Ott, M., Choi, Y., Cardie, C., & Hancock, J. T. (2011). Finding deceptive opinion spam by any stretch of the imagination. arXiv preprint arXiv:1107.4557. Online unter der URL https://arxiv.org/pdf/1107.4557
- Azimi, S., Chan, K., & Krasnikov, A. (2022). How fakes make it through: the role of review features versus consumer characteristics. Journal of Consumer Marketing. Online unter der URL https://www.emerald.com/insight/content/doi/10.1108/JCM-04-2021-4597/full/html?
- Der Artikel zu gefälschen Rezensionen auf Telegram auf heise.de
https://www.heise.de/news/Ein-Datenleck-zeigt-wie-Amazon-Bewertungen-gekauft-werden-4944863.html
- reviewmeta.com ist das Tool, das Amazon-Rezensionen bereinigt und Daten über die möglicherweise verdächtigen Merkmale von Rezensionen bereitstellt: https://reviewmeta.com/de
- Der ultimative Lesetipp für wissenschaftlich Interessierte: Melanie Siegel, Alexa Melpomeni (2020) Sentiment-Analyse deutschsprachiger Meinungsäußerungen – Grundlagen, Methoden und praktische Umsetzung. Springer Verlag. Produktseite des Verlags: https://link.springer.com/book/10.1007/978-3-658-29699-5
Das Episodenbild:
Kann man Lügen malen? Wir waren skeptisch, als wir uns auf die Suche nach einem passenden Epidodenbild begaben. Aber wir hatten Glück: Der Düsseldorfer Maler Rudolf Jordan war in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein arrivierter Künstler aus Düsseldorf mit Professur und allem drum und dran. Er war auf Nordsee-Szenen spezialisiert und malte ein Bild mit dem Titel „Die erste Lüge“. Ein erwischt ein Mädchen beim Lügen. Wir fanden die Szene als „Meme“ für die Lüge sehr gelungen. Hier verlinken wir das Original – das auf wikiart.org merkwürdigerweise mit dem Titel „Fischer flicken ihre Netze“ versehen ist (wir vermuten einen Fehler, denn man sieht nur einen Fischer und das Flicken der Netze ist Nebensache):
https://www.wikiart.org/en/rudolf-jordan/fishermen-mending-their-nets-1875
…und eine Illustration, die auf dem Bild beruht, mit dem mutmaßlich korrekten Titel, nämlich „Die erste Lüge“
https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Die_erste_L%C3%BCge,_Holzstich_nach_R._Jordan,_D1214.jpg