Wir werden mal ganz grundsätzlich in dieser Folge und denken darüber nach, was die Welt im innersten zusammenhält – sozusagen. In der Psychologie, die ja letztlich versucht, menschliches Verhalten zu beschreiben, zu erklären und vorherzusagen, sind dies so Begriffe wie Motivationen, Handlungen, Absichten, Ziele und – last not least – Emotionen!
Die Psychologische Theorie, der wir diesmal in wesentlichen Zügen folgen, enthält bzw. verbindet alle diese Begriffe. Sie stammt von zwei amerikanischen Autoren: Michael Scheier und Charles Carver. Die beiden haben sich über viele Jahre hinweg kluge Gedanken um sehr grundlegende Vorgänge gemacht, nämlich die Regelungsmechanismen, die bei der Steuerung und Kontrolle von Handlungsvorgängen wirksam sind. In einem „Handbuch Stress und Kultur“ formulieren es Klaus-Helmut Schmidt und Stefan Diestel so:
Eigene Verhaltensweisen zu unterbrechen, zu unterdrücken oder in anderer Weise zu verändern, Pläne zu schmieden und langfristig auch gegen innere und äußere Widerstände eigene Ziele zu verfolgen sowie Versuchungen oder Ablenkungen zu widerstehen gehört zu den beeindruckendsten psychischen Funktionen des Menschen.
Schmidt, K. H., & Diestel, S. (2013). Selbstkontrolle: Kosten und Nutzen in unterschiedlichen Settings. Handbuch Stress und Kultur: Interkulturelle und kulturvergleichende Perspektiven, 139-150.
Genau!
Da wir der Überzeugung sind – wie wir in vorigen Episoden unsere Podcasts wiederholt betont haben -, dass das Nutzen von Onlinemedien in vielen Bereichen eben nicht nur als Medienkonsum, sondern als Handeln beschrieben und erklärt werden kann, kommen uns solche Denkansätze überaus gelegen.
Nur: Stimmt das denn, das mit dem Handeln? Kann man das wirklich in dieser Eindeutigkeit behaupten? Nun, wenn man bedenkt, was im Web, auf Apps und in Games so alles möglich ist, nämlich…
- Schuhe kaufen;
- eine/n Partner/in finden;
- diese/n wieder loswerden;
- eine Steuererklärung machen;
- eine Anzeige aufgeben;
- einen Tisch bestellen;
- jemanden beleidigen;
- sich verschönern;
- nach unten (oder oben) springen;
- nach der Post sehen;
- einen Text veröffentlichen;
- ein Hotel bewerten;
- eine Fahrrad-Tour planen;
- etwas verschenken;
- ….
…dann könnte man durchaus diesen Verdacht hegen.
Es scheint also interessant, den angedeuteten Gedanken einmal wirklich zu Ende zu denken, und das heißt in dieser Folge, dass wir die Theorie der Selbst- und Handlungsregulation von Carver & Scheier auf das Web übertragen und dann nachsehen, was daraus wird. In diesem Zusammenhang werden wir nicht nur über Warenkörbe und Formulare, sondern unter anderem auch über Absichten, Ablenkungen, und Abschirmung genauso wie über Reibung, Feedback, Spiel-Design, Drop-Down-Listen, Wartezeiten, passende und unpassende Vorschläge und „New Work“ nachdenken.
Wesentlich ist, dass es hier keinesfalls um trockene Theorie geht, sondern um sehr praktische Hinweise und Regeln, die sehr gut für die Gestaltung und Bewertung von Online-Produkten und -Erlebnissen angewendet werden können. Was den Ansatz übrigens auch qualifiziert: er liefert Ergebnisse, die dem gesunden Menschenverstand entsprechen. Es ist mitnichten so, dass es geheimnisvolle psychologische Gesetzmäßigkeiten und Mechanismen gibt, die einem wachen Verstand nicht zugänglich wären. So gesehen befassen wir uns – einmal mehr – mit der Wissenschaft vom Offensichtlichen.
Quellen zum Beitrag
Die Ideen von Carver & Scheier sind in vielen Publikationen und Folgepublikationen erschienen und vielfach kommentiert worden. Die folgenden Beiträge ragen heraus:
- Carver, C. S., & Scheier, M. F. (1990). Origins and functions of positive and negative affect: a control-process view. Psychological review, 97(1), 19.
- Carver, C. S., & Scheier, M. F. (1982). Control theory: A useful conceptual framework for personality–social, clinical, and health psychology. https://www.researchgate.net/publication/16065403_Control_theory_A_useful_conceptual_framework_for_personality-social_clinical_and_health_psychology
- Carver, C. S., & Scheier, M. F. (2001). On the self-regulation of behavior. Cambridge University Press.
Zum Episodenbild
Es ist nicht leicht, ein Meme zu so einer abstrakten Idee wie „Handeln“ zu finden. Wir haben uns auf die Suche in der Kunstgeschichte gemacht und sind schließlich mit einem Begriff fündig geworden: Die Ärmel hochkrempeln! „Roll up sleeves“ heißt das im Englischen. Die Bildrecherche lieferte uns neben diversen Agit-Plakaten aus der Arbeiterbewegung u.a. eine Litographie des höchst ehrenwerten Schmiedes Mr. Robert Davies aus dem britischen Wakefield, das auf das Jahr 1837 datiert. Wir haben ihm hier ein digitales Denkmal gesetzt, da er sich bei den Wahlen zum Borough von Wakefield Verdienste um freiheitliche Werte erworben hat. Uns erschien dies höchst beeindruckend (auch wenn wir die Details dieses Geschehens nicht wirklich verstanden haben) und zudem verkörpert Mr. Wakefield für uns in seiner ganzen Haltung wahrhaft entschlossene Handlungsbereitschaft!
Bildquelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Robert_Davies._(BM_1872,0511.964).jpg