Mehr über Dark Patterns – No te escaparás!

Eine junge, tanzende Frau wird von Dämonen umzingelt
No te escaparás! Radierung von Francisco Goya, 1799

(S1/E23) Wir greifen ein Thema auf, das in der dritten Folge unseres Podasts mit dem Titel „Dark Patterns. Die Einführung, oder: der kochende Frosch“ schon vorbereitet wurde. Es geht also wieder um betrügerische Muster und Manöver, mit denen Spieler/innen und Nutzer/innen weltweit aufgehalten, abgelenkt, ausgenommen, mindestens aber genervt werden. Und diesmal werden wir enzyklopädisch: Wie viele solcher Dark Patterns gibt es nun eigentlich? Woher kommt das Konzept? Wie kann man es definieren? Was kann die Wissenschaft derzeit dazu sagen? Gibt es vergleichbare, verwandte Phänomene?

Drei sehr unterschiedliche wissenschaftliche Quellen haben wir diesmal ausgewertet, und am Ende der Folge werden wir 19 (in Worten neunzehn) Muster benannt und erklärt haben.

Erstens gebührt dem britischen User Experience Designer Harry Brignull die Ehre, das Konzept zwar nicht erfunden, aber doch immerhin erstmals benannt zu haben. Das war im Jahr 2010. Damit war eine Möglichkeit geschaffen, es zum Gegenstand einer Diskussion zu machen. Ohne den Begriff oder das sprachliche Etikett wäre die Suche nach Dark Patterns und ihren Hintergründen natürlich sehr viel schwieriger – Umschreibungen helfen da nicht. Die wichtigsten Pattern aus der Sammlung von Harry Brignull stellen wir vor.

Zweitens promovierte – im Jahr 2012 – ein junger Wissenschaftler namens Chris Lewis an der California State University zum Thema „Motivational Patterns“ – wohlgemerkt: nicht „dark“. Er verarbeitete seine Dissertation zu einem Buch weiter, das den verräterischen Titel „Irresistible Apps“ trägt (Quellenangabe s.u.). Es gibt zwei Unterschiede zu Brignull: Lewis betrachtet vor allem Muster aus dem Bereich Computerspiele und während Harry Brignull das Thema eher über konventionelle Anwendungen und im e-Commerce erklärt. Und während Brignull andererseits eher etwas oberflächlich, man könnte sagen: phänomenologisch, vorgeht, erstellt Lewis einen theoretischen Unterbau. Das gefällt uns, zumal er im Hintergrund mit Motivationen argumentiert. Auch seine Definition von Dark Patterns ist interessant. Demnach liegt ein Dark Pattern vor, wenn Benutzer/innen bei einer Transaktion im Web mehr (a) monetäre, (b) zeitliche oder (c) soziale Ressourcen verlieren, als sie vorher erwartet haben.

Drittens hat ein Autoren-Team der US-amerikanischen Purdue University im Jahr 2018 damit begonnen, Dark Patterns empirisch zu untersuchen, sprich: zu sammeln und zu klassifizieren. Die Situation ist ähnlich der eines Zoologen, der im Urwald umherkraucht, Insekten einfängt, sammelt, klassifiziert und über ihre Verwandtschaftsbeziehungen nachdenkt. Im Mittelpunkt steht hier also nochmals die Frage nach der Klassifikation: Welche Patterns gibt es?

Übrigens: Das Thema ist damit noch nicht erschöpft. In einem dritten Beitrag werden wir uns um die rechtlichen Aspekte und die aktuelle Wahrnehmung des Phänomens Dark Patterns in der politischen und medialen Öffentlichkeit kümmern.

Quellen zum Thema:

  • Mittlerweile klassisch: Die Website von Harry Brignull zu Dark Patterns:
    https://www.darkpatterns.org/
  • Der „Talk“, auf dem er das Konzept erstmals vorgestellt hat, findet sich auf dem YouTube Kanal von Harry Brignull – soweit es sich nachvollziehen lässt, ist dies also die Geburtsstunde des Begriffs „Dark Patterns“.
    https://www.youtube.com/watch?v=zaubGV2OG5U
  • UI-Patterns.com ist die überaus praktische und umfangreiche Musterbibliothek für Interface-Designer/innen, die wir am Anfang der Folge erwähnen. Was wir nicht erwähnen: Es gibt hier auch Überredungsmuster oder motivational Patterns!
    http://ui-patterns.com/

  • Zu dem Artikel on Gray et al. zu empirisch klassifizerten Dark Patterns, den wir im letzten Drittel der Podcast-Folge besprechen, gehört folgende Literaturangabe (kann auf Google Scholar gefunden werden):
    Gray, C. M., Kou, Y., Battles, B., Hoggatt, J., & Toombs, A. L. (2018, April). The dark (patterns) side of UX design. In Proceedings of the 2018 CHI Conference on Human Factors in Computing Systems (pp. 1-14).
  • Schließlich das Buch von Christopher Lewis über „Irresistible Apps“:
    Lewis, C. (2014). Irresistible Apps: Motivational design patterns for apps, games, and web-based communities. Apress.

Das Bild zur Folge:

Der spanisch-französische Maler und Grafiker Francisco Goya war für seine Zeit ein sehr kritischer und avantgardistischer Geist, der sich u.a. mit Anti-Kriegs-Bildern, die trotz der zeitlichen Distanz bis heute wirklich ergreifend sind. Seine Sonderrolle in der Kunstgeschichte wird durch die oft wiederholte Aussage unterstrichen, dass er der letzte alte Meister und zugleich der erste Maler der Moderne gewesen sei.

In einer Serie von Radierungen, die er um das Jahr 1799 hergestellt hat, betitelt „Los Capricios“ (Einfälle), findet sich das Bild einer jungen Frau, die von Dämonen umringt wird. Noch scheint sie sich frei und schwerelos zu bewegen, aber man ahnt, was geschehen wird… Uns schien das Bild sehr gut geeignet die Idee von „Dark Patterns“ zu visualisieren. No te escaparás! (Du wirst uns nicht entkommen!)

Bildquelle: https://es.wikipedia.org/wiki/No_te_escapar%C3%A1s#/media/Archivo:No_te_escapar%C3%A1s.jpg