Zoom-Fatigue und Selbstaufmerksamkeit

(S2/E04) Eine signifikante Veränderung in unserem Leben haben die Jahre der Pandemie mit sich gebracht: Wir verbringen – gefühlt – unendlich viel Zeit in Videokonferenzen. Adobe Connect, Big Blue Button, Clickmeeting, Google Meet, Microsoft Teams, webex, ZOOM … Ja, das Kommunizieren über briefmarkengroße Fensterchen, in denen sich Familienmitglieder und Freund/innen, Kolleg/innen, Lehrende und Lernende tummeln, ist für uns zum Alltag geworden.

Unsere Meinung hierzu: Auch wenn uns Videokonferenzen über die Corona-Krise hinweggerettet haben, müssen wir sie ja noch nicht mögen – jedenfalls nicht immer und überall. Und unser Verdacht, dass etwas nicht stimmen kann, wenn Menschen sich Tag um Tag und Stunde um Stunde vor dem Rechner postieren, um mit Webcam und Mikro an Meetings teilzunehmen, hat sich bestätigt. Das ist einfach ungesund! Und es waren wieder einmal die amerikanischen Wissenschaftler – diesmal vom Virtual Human Computer Interaction Lab der Universität Stanford -, die das Problem als erste erkannt und dingfest gemacht haben: „ZOOM-Fatique“ nennt man dieses Gefühl von Leere und Erschöpfung, das eintritt, wenn sich Menschen in einer Situation finden, in der sie anscheinend stundenlang von anderen beobachtet werden und sich obendrein zwangsweise noch selbst betrachten müssen. Und wie alle anderen Varianten von Fatique, auf die wir auch kurz eingehen, ist dies letztlich eine digitale Zivilisationskrankheit, man könnte auch sagen: ein Thema für die Krankenkassen. Wir gehen diesem Phänomen auf den Grund, berichten über Studien, Messinstrumente, erste Erkenntnisse zu den Ursachen und mögliche Gegenmaßnahmen.

Das zweite Thema, mit dem wir uns beschäftigen, hat ganz unmittelbar hiermit zu tun. Es geht um Selbstaufmerksamkeit – ein Wort, das seine Bedeutung ahnen lässt, nicht aber seine Auswirkungen. Wir klären, was das ist und kommen zu dem Schluss, dass die schöne neue Wirklichkeit der Sozialen Medien und Videokonferenzen eben genau diese Selbstaufmerksamkeit auslöst. Es scheint plausibel: Wer permanent beobachtet wird und sich selbst permanent beobachtet, wird automatisch und unbedingt in einen Zustand erhöhter Selbstaufmerksamkeit versetzt. Das wäre nun halb so schlimm, wenn es nicht eigenartige Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge rund um Selbstaufmerksamkeit gäbe. In der Geschmacksrichtung „öffentlich“ korreliert Selbstaufmerksamkeit nämlich mit sozialer Angst (Mein Gott, was mögen die nur von mir denken?) in der Geschmacksrichtung „privat“ mit Depressivität (Oh Gott, wer bin ich denn und was bin ich überhaupt wert?). Merke: Wenn Du Deine gute Laune nicht verlieren willst, dann schau‘ nicht zu lange in Spiegel – und meide Videokonferenzen!

Quellen:

zum Episodenbild

Ramon Casas (1866-1932) war ein katalanischer Maler und Grafiker, der als Mitbegründer und wichtiger Vertreter des katalanischen Modernismus gilt, einer künstlerischen Bewegung, der auch der weltberühmte Architekt Antoní Gaudi angehörte. Für das Bild „Müde“, das zwischen 1895 und 1900 entstand, malte er eines seiner häufiger portraitierten weiblichen Modelle in einem eigenartig modern wirkenden Mobiliar. Und sie ist sehr überzeugend müde, fanden wir. Ein schönes Sinnbild für unsere Folge über Fatigue.

Bildquelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:18_sep_13_rodin_belle.jpg

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